Myasthenie

Rituximab

Neben dem Originalpräparat Mabthera® werden eine Reihe von Biosimilars gleichwertig eingesetzt.

Indikation

Rituximab steht für eine Reihe von sehr ähnlichen, gentechnisch hergestellten, monoklonalen chimären Antikörpern (Maus/Mensch) gegen CD20, die zur Behandlung von follikulären und B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphomen, therapierefraktären chronisch-lymphatischen Leukämien (CLL) sowie bestimmten Autoimmunerkrankungen wie der rheumatoiden Arthritis, der granulomatösen Polyangiitis (GPA), der mikroskopischen Polyangiitis und des Pemphigus vulgaris zugelassen sind.

Für die Behandlung der Myasthenie liegt keine Zulassung vor, aber es existiert eine Vielzahl von retrospektiven Studien und Fallserien, die den günstigen Effekt von Rituximab bei Patienten mit einer Myasthenie gezeigt haben (Evidenzgrad IV). Herausragende Effekte bestehen bei der MuSK-Ak positiven Myasthenie (Wirksamkeitsquote 80 – 90 % in Fallserien), bei ca. 80 % und 70 – 80 % Wirksamkeitsquoten bei der AChR-Ak-positiven bzw. seronegativen Myasthenie, so dass Rituximab bei all diesen Patientengruppen zum Einsatz kommen kann, ebenso wie beim Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom.

Kontraindikationen

Eine absolute Kontraindikation besteht bei…

  • Hypersensitivität gegenüber dem Wirkstoff oder einem der sonstigen Bestandteile des Arzneimittels. Besonders ist auf Patienten mit bekannter Allergie gegen Maus-Proteine zu achten, die kein Rituximab infundiert bekommen dürfen.
  • schwerer Herzinsuffizienz (NYHA IV) wegen der erforderlichen Infusionsmenge. Eine kardiovaskuläre Vorerkrankung oder eine Herzinsuffizienz (NYHA III) stellen ein erhöhtes Risiko dar, besonders beim Auftreten von Infusionsreaktionen.

Eine relative Kontraindikation besteht bei…

  • aktiven schwerwiegenden Infektionen oder aktiver Tuberkulose.
  • chronischen Infektionskrankheiten wie HIV, Hepatitis B oder C, da ein negativer Effekt auf die Immunkompetenz im Rahmen dieser Erkrankungen nicht auszuschließen ist.
  • Patienten mit signifikanter Infektionsneigung (z. B. Dekubitus, Aspirationsneigung, rezidivierende Harnwegs- oder respiratorische Infekte).
  • Schwangerschaft oder während der Stillzeit.

Dosierung

Wegen fehlender kontrollierter Studien existieren keine gesicherten Evidenzen zur Dosierung und zu Therapieintervallen bei myasthenen Syndromen. Häufig wird das rheumatologische Schema eingesetzt (Induktion mit 1.000 mg i. v. in Woche 0 und 2). Studienbasierte und konsentierte Dosis-Deeskalationsstrategien für eine Erhaltungstherapie bestehen nicht. Eine Therapiesteuerung anhand der Quantifizierung von CD19+- und/oder CD20+-B-Zell-Werten gelingt nicht, da Depletion und klinische Wirksamkeit in der Regel nicht korrelieren. Pragmatisch erfolgt eine Therapie alle sechs Monate mit 1000mg oder alle 12 Monate mit 2 x 1000 mg im Abstand von 14 Tagen. Für weitere Zyklen kann versucht werden, die Dosisintervalle zu strecken (Evidenzgrad IV).

Unter Berücksichtigung der Krankheitsaktivität und von Komorbiditäten kann Rituximab in Einzelfällen gemeinsam mit klassischen Immunsuppressiva (z. B. Steroide, Azathioprin) kombiniert werden. Eine Kombination mit Komplementinhibitoren und Inhibitoren des neonatalen Fc-Rezeptors ist in Einzelfällen erfolgt.

Es existieren keine gesicherten Evidenzen zu Dosisanpassungen nach Gewicht, Geschlecht oder ethnischer Zugehörigkeit.

Pharmakokinetik

Nach Gabe von zwei Infusionen Rituximab à 1.000 mg im Abstand von zwei Wochen betrug in Studien zur rheumatoiden Arthritis die durchschnittliche Halbwertszeit 20,8 Tage (Schwankungsbereich 8,5 bis 35,9 Tage). Auch bei erneuten Behandlungszyklen zeigte sich eine ähnliche Halbwertszeit.

Rituximab kann als IgG-Antikörper die Plazentaschranke passieren und geht wahrscheinlich in die Muttermilch über.

Pharmakodynamik

Rituximab bindet an das CD20-Antigen auf B-Lymphozyten, induziert eine B-Zell-Lyse und bewirkt dadurch eine B-Zell-Depletion im Blut.

Die B-Zellen beginnen sich – individuell unterschiedlich – meist nach sechs Monaten zu erholen und erreichen in der Regel nach neun bis zwölf Monaten wieder Normalwerte. Einige Patienten zeigen eine Re-Population auch früher als nach 6 Monaten. Bei langjähriger Therapie kann es zu einer langanhaltenden Suppression der B-Zellen kommen, die ein Jahr oder länger persistieren kann.

Diagnostik || vor Therapiebeginn 

Anamnese und klinische Untersuchung zu möglichen Kontraindikationen

Durch eine sorgfältige Anamnese und klinische Untersuchung sollte vor Therapiebeginn sowie vor jeder Infusion das Vorliegen möglicher Kontraindikationen, wie z. B. einer schweren Infektion, ausgeschlossen werden (obligat). Bei Patienten mit aktiver Infektion sollte die Rituximab-Gabe verschoben werden, bis die Infektion vollständig kontrolliert ist. Anamnese und Untersuchung sollten detailliert dokumentiert werden (obligat).

Labor-Basisprogramm

  • Routinelaborparameter: Vor Beginn der Therapie müssen Blutbild und Differenzialblutbild sowie Leberwerte (GOT, GPT, Bilirubin, AP) bestimmt werden (obligat). Insbesondere empfiehlt es sich, den Status von CD19+- und/oder CD20+-B-Zellen zu erheben und als Ausgangswert zu dokumentieren (obligat). Des Weiteren muss im Serum Gesamt-IgG als Ausgangswert quantifiziert werden (obligat).
  • Entzündungs- und Infektionsparameter: Bei allen Patienten sollten eine akute Entzündung (CRP, Urinstatus) sowie chronische aktive bakterielle und virale Infektionen (Tbc, Lues, HBV, HCV, HIV) ausgeschlossen werden. Für den HIV-Test ist eine schriftliche Einverständniserklärung der Patienten erforderlich. Bei Verdacht auf Tbc in der Vorgeschichte oder bei Personen, die in Gebieten mit höherer Tbc-Prävalenz leben, sollte die Tbc-spezifische Immunreaktion untersucht werden (mittels Tbc-spezifischem ELISPOT oder Interferon-Gamma-Release-Test, z. B. Quantiferon®) (obligat). Bei positivem Testergebnis muss die Gefahr einer Tbc-Reaktivierung abgeklärt werden (Röntgen-Thorax und ggf. weitere Diagnostik) (obligat). Zudem muss überprüft werden, ob Immunität gegen das Varizella-Zoster-Virus (VZV) vorhanden ist (Nachweis von VZV-IgG im Serum, anamnestisch durchgemachte Windpocken-Erkrankung). Bei fehlender Immunität sollte vor Beginn der Therapie eine Impfung durchgeführt werden.
  • Impfstatus: Vor Beginn einer Therapie mit Rituximab soll der Impfstatus überprüft werden und ausstehende und empfohlene Impfungen (gemäß der STIKO) sollten zeitnah unter Berücksichtigung der Krankheitsaktivität erfolgen.
  • Schwangerschaftstest: Bei Patientinnen im gebärfähigen Alter muss eine Schwangerschaft, ggf. mittels Schwangerschaftstest, ausgeschlossen werden (obligat).

Dokumentierte Aufklärung der Patienten über Therapie und Risiken

Eine standardisierte Aufklärung über den Einsatz einer Off-Label-Therapie sowie die Risiken und Nutzen der Rituximab-Therapie und eine schriftliche Einwilligungserklärung des Patienten sind vor Behandlungsbeginn (obligat). Die standardisierte Aufklärung mit Einwilligungserklärung zur Therapie sollte speziell auf folgende Risiken eingehen:

  • Infusionsreaktionen: erhöhtes Risiko für Infektionen einschließlich opportunistischer Infektionen.

Vortherapien || Abstand und Maßnahmen

Es ist kein Abstand der Rituximab-Therapie zu einer Steroid- oder konventionellen Immuntherapie notwendig; es kann ggf. auch eine parallele Behandlung erfolgen. Rituximab kann unmittelbar nach Abschluss einer Plasmaseparation oder Immunadsorptionsbehandlung gegeben werden.

Nach Gabe hochdosierter polyvalenter Immunglobuline sollte der Mindestabstand 10, besser 14 Tage betragen, bevor Rituximab gegeben wird, um eine Wirkbeeinträchtigung des Rituximab zu vermeiden. Eine Fortführung einer Rituximab-Therapie mit zeitlich versetzter Add-on-Therapie anderer monoklonaler Antikörpertherapien erscheint theoretisch möglich, auch wenn klinische Erfahrungen hierzu noch rar sind. Dabei sollte der größtmögliche Abstand zwischen Rituximab und der Add-on-Therapie eingehalten werden.

Während der Infusion

Rituximab kann zu akuten Infusionsreaktionen und lebensbedrohlichen anaphylaktischen Reaktionen führen. Es kann daher nur unter engmaschiger Überwachung von erfahrenem medizinischem Fachpersonal angewendet werden, und es muss eine vollständige Ausrüstung zur Wiederbelebung sofort verfügbar sein (obligat). Zeichen einer akuten oder verzögerten Infusionsreaktion wie Urtikaria, Pruritus, Exanthem, Luftnot, Angina pectoris, Blutdruckabfall, Fieber, Myalgien und Arthralgien sind zu beachten (obligat). Vor Beginn der Infusion werden jeweils 100 mg (Methyl-) Prednisolon i. v., Paracetamol und ein Antihistaminikum i. v. oder oral verabreicht, um etwaige Unverträglichkeitsreaktionen abzuschwächen (fakultativ). Der Effekt höherer Kortisondosen auf die Myasthenie ist zu bedenken (Gefahr des Kortison-Dips). Die Infusionen müssen über eine Venenverweilkanüle mit sicherer intravenöser Gabe durchgeführt werden (obligat).

Bezüglich der Handhabung und Herstellung der Infusionslösung sowie Infusionsgeschwindigkeit sollte sich nach der Fachinformation gerichtet werden. Während der Infusion sollten alle 30 Minuten die Vitalparameter gemessen und dokumentiert werden (fakultativ). Bei Auftreten einer Infusionsreaktion muss die Geschwindigkeit reduziert bzw. bei schweren Reaktionen die Infusion gestoppt werden. Zur symptomatischen Therapie der Infusionsreaktion stehen Antipyretika (z. B. Paracetamol) und Antihistaminika (z. B. Dimetinden [z. B. Fenistil®]) auch intravenös zur Verfügung. Die Symptome einer Infusionsreaktion bilden sich in der Regel innerhalb kurzer Zeit zurück, sobald die Infusion beendet bzw. unterbrochen wurde.

Infusionsreaktionen, die während oder innerhalb von 24 Stunden nach der Rituximab-Infusion auftreten, sind in der Regel auf eine Zytokinfreisetzung während der Infusion zurückzuführen. Typische Nebenwirkungen sind Kopfschmerz, Ausschlag, Pruritus und Schwindel. Die klinischen Merkmale von anaphylaktischen Reaktionen, die deutlich seltener auftreten, können jenen von infusionsassoziierten Effekten ähneln, sind aber schwerwiegender und potenziell lebensbedrohlich. Behandelnde Ärzte sollten die kardiologische Anamnese des Patienten kennen, da auch kardiale Symptome wie Tachykardie zu den möglichen Reaktionen gehören können.

Monitoring

Klinisch-neurologische Kontrolle

Der Effekt der Therapie sollte mittels klinischer Skalen (QMG, MG-QoL15, MG-ADL u. a.) erfasst werden. Therapieziel ist das Erreichen eines PASS (patient acceptable symptom state). Klinische Effekte stellen sich in der Regel verzögert 6 – 8 Wochen nach Rituximabgabe ein, bei Erhaltungstherapien etwas früher. Ein Wirkmaximum ist drei Monate nach Gabe zu erwarten.

Labor-Basisprogramm

Ein Blutbild und Differenzialblutbild sowie Leberparameter (GOT, GPT, Bilirubin, AP) müssen zu Therapiebeginn in Abhängigkeit möglicher Vortherapien zunächst nach zwei und vier Wochen und dann bei guter Verträglichkeit alle drei Monate erfolgen (obligat). Mindestens in sechsmonatlichen Intervallen sollten zudem die Gesamt-IgG und -IgM im Serum bestimmt werden (obligat).

Während der Therapie

Schwangerschaft und Stillzeit

Die FDA empfiehlt eine sichere Empfängnisverhütung für B-Zell-gerichtete Antikörper-Therapien bis sechs Monate nach letzter Gabe, die EMA für Ocrelizumab und Rituximab bis zwölf Monate nach letzter Gabe. Unter Berücksichtigung der Halbwertszeiten und der Krankheitsaktivität kann nach Expertenmeinung eine Schwangerschaft frühestens zwei Monate nach Behandlung mit Rituximab geplant werden. Sollte nach einer kritischen Nutzen-Risiko-Analyse im Rahmen einer individuellen Therapieentscheidung die Behandlung während einer Schwangerschaft für notwendig erachtet werden, kann nach entsprechender Aufklärung und unter regelmäßigem Monitoring von Mutter und Fetus entsprechend den lokalen Empfehlungen eine Therapie mit Rituximab in der Schwangerschaft erfolgen.

Frauen im gebärfähigen Alter sind auf die Notwendigkeit einer wirksamen Empfängnisverhütung hinzuweisen (obligat).

Aus den Zulassungsstudien und nach tierexperimentellen Daten sind keine teratogenen Wirkungen und keine Auswirkungen auf die weibliche und männliche Fertilität bekannt. Eine unerwartete Schwangerschaft unter Rituximab ist keine Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch.

Über mögliche fruchtschädigende Wirkungen einer Rituximab-Therapie bei Mann und Frau liegen bisher keine ausreichenden Daten vor. Zwar existieren einzelne Fallberichte über vergleichsweise gute Erfahrungen von Frauen mit einer NMOSD wie auch mit rheumatologischen Erkrankungen, die unter einer Rituximab-Therapie schwanger wurden, systematische Studien fehlen allerdings. Es ist davon auszugehen, dass Rituximab in geringen Mengen in die Muttermilch übergeht, daher sollte die Anwendung in der Stillzeit nur nach Rücksprache mit einem spezialisierten Zentrum erfolgen.

Impfungen

Umfassende Untersuchungen zu Impfungen und Rituximab liegen nicht vor. Grundsätzlich können Impfungen mit sogenannten Totimpfstoffen, mRNA Impfstoffen und Vektorimpfstoffen während der Therapie mit Rituximab erfolgen. Die Wirksamkeit von Impfungen kann während und nach der Gabe von Rituximab eingeschränkt sein. Ggf. ist der Impferfolg mittels Titerkontrolle zu überprüfen (fakultativ).

Die Anwendung von attenuierten Lebendimpfstoffen ist unter der Therapie mit Rituximab kontraindiziert (obligat).

Dauer der Therapie

Zum jetzigen Zeitpunkt ist davon auszugehen, dass Rituximab in den meisten Fällen regelmäßig verabreicht werden muss, um seine klinische Wirksamkeit dauerhaft zu entfalten. In einer Minderzahl MuSK-Ak-positiver Patienten kann jedoch durch sukzessives Ausweiten der Infusionsintervalle eine therapiefreie stabile Remission der Erkrankung erreicht werden.

Patientenaufklärung

Die DMG stellt einen Patientenaufklärungsbogen zur Therapie mit Rituximab für Sie bereit. Diesen können Sie hier herunterladen.

Autoren

Univ.-Prof. Dr. M. Schroeter M.Sc.
Klinik und Poliklinik für Neurologie, Köln

(Die Empfehlung basiert auf dem KKNMS e.V. Therapiehandbuch zu Rituximab; Autoren: Prof. Dr. Orhan Aktas, Düsseldorf, Prof. Dr. Ingo Kleiter, Berg, Prof. Dr. Tania Kümpfel, München, Prof. Dr. Corinna Trebst, Hannover)

Autoren

Univ.-Prof. Dr. M. Schroeter M.Sc.

Klinik und Poliklinik für Neurologie, Köln