Indikation
Ciclosporin ist ein Hemmstoff des Enzyms Calcineurin. Als solcher vermindert Ciclosporin die Aktivierung und Vermehrung von T-Zellen und bewirkt eine Reduktion der Freisetzung von Entzündungsstoffen. Ciclosporin wird zur Behandlung diverser autoimmun-entzündlicher Erkrankungen eingesetzt. Für die Behandlung der Myasthenia gravis ist Ciclosporin in Deutschland nicht zugelassen (off-label Verordnung). Aufgrund einer jedoch ausreichenden Datenlage nennt die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie Ciclosporin als Mittel der zweiten Wahl zur Behandlung der generalisierten Myasthenia gravis mit milder oder moderater Aktivität. Ciclosporin kann daher bei Unwirksamkeit, fehlender Verträglichkeit oder Kontraindikationen der Erstlinientherapie eingesetzt werden. Darüber hinaus findet Ciclosporin in der Leitlinie als Alternative zu Azathioprin bei der Behandlung der okulären Myasthenia gravis sowie dem Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom Erwähnung.
Kontraindikationen
Absolute Kontraindikationen
- Im Kontext der Myasthenie darf Ciclosporin nicht bei bekannter Hypersensitivität gegenüber dem Wirkstoff, schwerer Niereninsuffizienz, unkontrollierter arterieller Hypertonie oder in Zusammenhang mit malignen Tumoren eingesetzt werden. Auch floride Infekte stellen eine Kontraindikation dar.
Relative Kontraindikationen
- Eine relative Kontraindikation besteht bei schweren Lebererkrankungen sowie erhöhtem Kalium- oder Harnsäurespiegel.
Nebenwirkungen
Mögliche unerwünschte Effekte der Ciclosporin-Therapie umfassen eine schädliche Beeinflussung der Leber- und Nierenfunktion, einen Blutdruckanstieg, eine Zahnfleischwucherung, Haarausfall, erhöhte Harnsäurewerte, eine gesteigerte Kaliumkonzentration im Blut, eine erhöhte Infektanfälligkeit, ein potenziell erhöhtes Risiko für maligne Erkrankungen sowie neurologische Symptome wie Zittern, Kribbeln oder Kopfschmerzen.
Dosierung
Die empfohlene Dosierung liegt zwischen 2 und 5 mg/ kg Körpergewicht. Die Einnahme von Ciclosporin erfolgt in der Regel zweimal täglich. Unter der Therapie mit Ciclosporin sollten darüber hinaus regelmäßige Kontrollen des Talspiegels erfolgen (Blutentnahme kurz vor Gabe der nächsten Dosis). Während in der Transplantationsmedizin häufig Talspiegel von etwa 100 – 150 µg/L (bei Herztransplantierten sogar 150 – 250 µg/L) angestrebt werden, scheinen bei den meisten Autoimmunerkrankungen wie der Myasthenia gravis bereits Spiegel von 80 – 120 µg/ L einen guten therapeutischen Effekt zu haben. Bei einem Anstieg des Kreatinins als Hinweis einer Niereninsuffizienz um 30% oder bei schweren Leberfunktionsstörungen sollte die Dosis um 25% reduziert werden.
Pharmakokinetik
- Die orale Bioverfügbarkeit beträgt etwa 20 – 50% und unterliegt einer Vielzahl von Faktoren wie dem Alter der Patienten.
- Ciclosporin wird vorwiegend im oberen Darmtrakt aufgenommen, wobei ein Teil während der ersten Leberpassage inaktiviert wird.
- Aufgrund der niedrigen und variablen oralen Bioverfügbarkeit ist es notwendig, die Therapie mithilfe von Blutspiegelkontrollen zu überwachen (weitere Informationen finden Sie in den Dosierungsempfehlungen).
- Die maximale Plasmakonzentration wird in der Regel etwa 1-2 Stunden nach der Einnahme erreicht. Die Plasmahalbwertszeit beträgt ungefähr 6 Stunden. Ciclosporin wird vorwiegend in der Leber über das Enzym Cytochrom P450 3A4 (CYP3A4) verstoffwechselt. Die etwa 30 Metabolite sind nicht immunsuppressiv wirksam.
- Während die Ausscheidung primär über die Galle erfolgt, wird ein kleiner Anteil auch über die Nieren eliminiert.
Pharmakodynamik
- Ciclosporin bindet intrazellulär an Cyclophilin. Der daraus entstehende Komplex hemmt effektiv die Aktivierung verschiedener Transkriptionsfaktoren, darunter insbesondere NF-AT (nuclear factor of activated T-cells). Das Resultat ist eine deutlich reduzierte Produktion von entzündlichen Zytokinen, insbesondere von Interleukin-2, sowie eine gehemmte Vermehrung von T-Lymphozyten.
Diagnostik || vor Therapiebeginn
Vor Beginn der Therapie sind einige wesentliche diagnostische Schritte unerlässlich, um die Sicherheit und Wirksamkeit der Behandlung zu gewährleisten. Dieser Prozess umfasst eine sorgfältige Anamnese und klinische Untersuchungen zur Identifizierung von Kontraindikationen sowie ein umfassendes Laborbasisprogramm, einschließlich der Bestimmung von Leberwerten, alkalischer Phosphatase (AP), Nierenretentionsparametern, C-reaktivem Protein (CRP) und einem Differenzialblutbild. Zudem ist der Ausschluss chronischer Infektionen wie HIV, Syphilis, Tuberkulose sowie Hepatitis B und C obligat. Bei Frauen im gebärfähigen Alter ist darüber hinaus ein Schwangerschaftstest notwendig, um eine mögliche Schwangerschaft auszuschließen. Die umfassende Aufklärung der Patienten über die geplante Therapie und die damit verbundenen Risiken ist unabdingbar und sollte schriftlich dokumentiert werden. Zuletzt ist die Überprüfung und gegebenenfalls Aktualisierung des Impfstatus wichtig, um den Schutz vor Infektionskrankheiten zu gewährleisten.
Während der Therapie
Die variable Bioverfügbarkeit von Ciclosporin erfordert regelmäßige Kontrollen der Talspiegel. Zusätzlich sind Kontrollen des Blutbilds, der Elektrolyte, der alkalischen Phosphatase sowie der Leber- und Nierenwerte einschließlich einer Urinuntersuchung erforderlich. In den ersten zwei Monaten sollten diese Kontrollen alle zwei Wochen stattfinden, danach monatlich.
Interaktionen
Ciclosporin wird in der Leber hauptsächlich durch CYP3A4 abgebaut und beeinflusst darüber hinaus das P-Glykoproteinsystem. Folgende Lebensmittel und Medikamente können den Ciclosporin-Spiegel erhöhen: Grapefruitsaft, Verapamil und andere Calciumantagonisten, Makrolidantibiotika, die Conazole, Amphotericin B, Allopurinol, Metoclopramid, Amiodaron, Colchizin, HIV-Proteaseinhibitoren, Rivaroxaban, Dabigatran und orale Kontrazeptiva.
Umgekehrt kann der Ciclosporin-Spiegel durch Rifampicin, Metamizol, Carbamazepin, Phenytoin, Barbiturate oder Johanniskrautpräparate gesenkt werden. Die Kombination mit potenziell nephrotoxischen Medikamenten (nichtsteroidale entzündungshemmende Medikamente, Antibiotika, Aciclovir, ACE-Hemmer) sollte vermieden oder sehr sorgfältig überwacht werden.
Klinische Visiten einschließlich der Untersuchungen der Schleimhäute, des Zahnfleisches und des neurologischen Status sowie Blutdruckkontrollen sollten nach dem ersten Monat und anschließend alle drei Monate durchgeführt werden.
Therapieunterbrechung
Eine Unterbrechung der Therapie sollte bei Auftreten von schweren unerwünschten Wirkungen wie Hypertrichose, Gingivahyperplasie, Leberfunktionsstörungen, einem diastolischen Blutdruck über 95 mmHg, einem Kreatininanstieg von mehr als 30% oder dem Auftreten von Tremor oder Parästhesien erfolgen.
Besondere Hinweise
Off-label Therapie
- Ciclosporin ist in Deutschland zur Behandlung der Myasthenia gravis nicht zugelassen. Es liegen jedoch fundierte wissenschaftliche Daten vor, die den Einsatz zur Therapie der Myasthenia gravis sinnvoll erscheinen lassen, insbesondere wenn Patienten auf herkömmliche Immunsuppressiva wie Azathioprin oder Mycophenolat mofetil nicht gut ansprechen oder diese nicht vertragen. Die Anwendung von Ciclosporin kann daher nach Rücksprache und Genehmigung durch den Kostenträger in Erwägung gezogen werden.
Kinder und Jugendliche
- Ein Einsatz von Ciclosporin bei Kindern und Jugendlichen außerhalb der Transplantationsmedizin und dem nephrotischen Syndrom wird nicht empfohlen.
Schwangerschaft und Stillzeit
- Ciclosporin kann im Rahmen einer sorgfältigen Abwägung von Risiken und Nutzen während der Schwangerschaft verabreicht werden. Die Ergebnisse zweier großer Metaanalysen haben kein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen oder Fehlgeburten in Verbindung mit Ciclosporin gezeigt. Es sollte jedoch beachtet werden, dass das Risiko für das Auftreten einer Präeklampsie unter Ciclosporin möglicherweise erhöht ist. Der Einsatz in der Schwangerschaft sollte engmaschig durch spezialisierte Zentren überwacht werden.
- Stillen unter einer Medikation mit Ciclosporin ist möglich, da lediglich minimale Mengen in der Muttermilch festgestellt wurden, und im kindlichen Blutplasma Ciclosporin nicht nachgewiesen werden konnte. Aussagekräftige Langzeitbeobachtungen fehlen allerdings.
- Angesichts des off-label Einsatzes von Ciclosporin zur Therapie von Myasthenia gravis ist eine ausführliche Aufklärung über mögliche Risiken von besonderer Bedeutung. Die Möglichkeit eines Wechsels zu einem zugelassenen Medikament sollte zumindest in Erwägung gezogen werden, bevor eine Schwangerschaft geplant wird. Für weiterführende Informationen verweisen wir auf www.embryotox.de.
Impfungen
- Es ist empfehlenswert, bis spätestens 4 Wochen vor Beginn der Therapie alle erforderlichen Auffrischungsimpfungen gemäß den aktuellen Empfehlungen der STIKO für immunsupprimierte Patienten durchzuführen.
- Impfungen mit Totimpfstoffen, einschließlich mRNA-Impfstoffen, sind während einer Ciclosporin-Therapie grundsätzlich möglich. Dennoch ist zu beachten, dass der Impferfolg eventuell vermindert sein kann. Je nach Art der Impfung und der individuellen Situation der Patienten kann es sinnvoll sein, die Antikörperkonzentration (Titer) zu überprüfen.
- Die Anwendung von Lebendimpfstoffen, wie beispielsweise BCG, Pocken oder Gelbfieber, ist während einer Ciclosporin-Therapie kontraindiziert. Solche Impfungen sollten spätestens 4 Wochen vor Beginn der Therapie abgeschlossen sein. Nach Beendigung der Ciclosporin-Therapie sollte eine Zeitspanne von mindestens 3 Monaten bis zur Impfung mit lebend-attenuierten Impfstoffen abgewartet werden.
Patientenaufklärung
Die DMG stellt einen Patientenaufklärungsbogen zur Therapie mit Ciclosporin für Sie bereit. Diesen können Sie hier herunterladen.
Quellen
- Projektgruppe Diagnose- und Therapierichtlinien des Modellverbundes BMG-geförderter Rheumazentren
- Fachinformation Ciclosporin
- Aktories, Förstermann, Hofmann, Starke: Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie.
- Karo, Lang-Roth: Pharmkaologie und Toxikologie.
- www.embryotox.de
- Wiendl, H. & Meisel, A. Diagnostik und Therapie myasthener Syndrome Entwicklungsstufe: S2k Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. www.awmf.org (2023)
- Wagner, N., Assmus, F., Arendt, G. et al. Impfen bei Immundefizienz. Bundesgesundheitsbl 62, 494–515 (2019).
https://doi.org/10.1007/s00103-019-02905-1
Autoren
Prof. Dr. med. Franz Blaes
Neurologische Klinik, Klinikum Oberberg, Gummersbach
Prof. Dr. med. Tobias Ruck
Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Düsseldorf, Düsseldorf
Niklas Huntemann
Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Düsseldorf, Düsseldorf
Autoren