Myasthenie

Azathioprin

Indikation

Azathioprin (AZA) ist ein Purinanalogon, das als Antimetabolit wirkt und die Synthese der Purinnukleotide im Rahmen der RNA-/DNA-Synthese hemmt, wovon insbesondere sich schnell teilende Immunzellen betroffen sind. AZA ist für die Behandlung der Myasthenia gravis zugelassen und stellt das in Deutschland am häufigsten eingesetzte Immuntherapeutikum für die Dauertherapie der Myasthenia gravis dar. Bei der okulären sowie der milden oder moderaten generalisierten Myasthenia gravis kommt Azathioprin insbesondere in Kombination mit Glukokortikoiden oft zum Einsatz.

Kontraindikationen

Eine absolute Kontraindikation besteht bei…

  • Hypersensitivität gegenüber dem Wirkstoff oder einem der sonstigen Bestandteile des Arzneimittels, schwerer Leberfunktionsstörung oder Knochenmarksuppression.

Eine relative Kontraindikation besteht bei…

  • aktiven schwerwiegenden Infektionen oder aktiver Tuberkulose, bei chronischen Infektionskrankheiten wie HIV, Hepatitis B oder C sowie dem Vorliegen einer Tumorerkrankung, Pankreatitis sowie Schwangerschaft oder während der Stillzeit und bei Kindern unter 18 Jahren.

Dosierung

Die initiale Dosis beträgt 25 – 50 mg/d in der ersten Woche. Bei guter Verträglichkeit erfolgt eine Dosissteigerung z. B. um 50 mg alle 7 Tage bis zum Erreichen der Zieldosis von 2 – 3 mg/kg Körpergewicht.

Zielparameter ist eine Lymphopenie von 600 bis 1000 Lymphozyten/µl. Bei guter klinischer Wirksamkeit kann auf die therapeutische Lymphopenie jedoch verzichtet werden.

Bei ca. 10 % der Bevölkerung besteht durch einen Polymorphismus der Thiopurin-S-Methyltransferase (TPMT) ein verminderter Abbau von Azathioprin. Dadurch besteht ein erhöhtes Risiko einer Myelotoxizität. Vor Therapiebeginn mit AZA sollte daher eine Bestimmung der TPMT-Aktivität oder des TPMT-Genotyps durchgeführt werden. Bei verminderter TPMT-Aktivität sollte eine Anpassung der Dosis erfolgen oder auf eine alternative Therapie zurückgegriffen werden.

Pharmakokinetik

  • Azathioprin wird oral über den gesamten Magen-Darm-Trakt resorbiert und hat eine Bioverfügbarkeit von ca. 50 %.
  • Die Einnahme sollte eine Stunde vor oder 3 Stunden nach einer Mahlzeit oder nicht mit Milch erfolgen, da diese Xanthinoxidasen enthalten und die Bioverfügbarkeit drastisch senken können.
  • Die maximale Plasmakonzentrationen werden ein bis zwei Stunden nach Einnahme erreicht und die Plasmahalbwertszeit beträgt drei bis fünf Stunden.
  • 50 % der Dosis wird innerhalb der ersten 24 Stunden nach Einnahme über den Urin überwiegend renal eliminiert.

Pharmakodynamik

  • Azathioprin ist ein Prodrug und wird im Körper rasch zu 6-Mercaptopurins (6-MP) und 1-Methyl-4-Nitro-5-Thioimidazol metabolisiert. 6-MP ist ein Purin-Antagonist und immunsuppressiv wirksam.

Diagnostik || vor Therapiebeginn 

Anamnese und klinische Untersuchung zu möglichen Kontraindikationen

Im Rahmen der ausführlichen Anamnese sollte ein besonderes Augenmerk auf mögliche Kontraindikationen gelegt werden. Zudem sollte nach Hinweisen auf das Vorliegen einer Tuberkulose oder bereits bestehender Hauttumoren geschaut werden.

Labor-Basisprogramm

  • Routinelaborparameter: Die Blutentnahme vor Therapiebeginn muss ein Blutbild mit Differentialblutbild, Leberwerten (GOT, GPT, GGT, Bilirubin, AP), Nierenwerten (Kreatinin) und CRP, sowie Urinstatus beinhalten (obligat).
  • Schwangerschaftstest: Bei Patientinnen im gebärfähigen Alter muss zudem eine Schwangerschaft vor Therapiebeginn mittels Schwangerschaftstest ausgeschlossen werden (obligat).
  • Infektionen: Da unter Immunsuppression eine erhöhte Infektneigung besteht, sollte auf eine chronische Infektion mit HBV, HCV und HIV getestet werden (fakultativ). Bei anamnestisch begründetem Verdacht sollte auch eine Testung auf eine latente Tuberkulose erfolgen (obligat). Bei V. a. Tbc in der Vorgeschichte oder Personen, die in Gebieten mit höherer Tbc-Prävalenz leben bzw. Kontakt zu Tbc-Erkrankten haben, sollte auf eine Tbc-spezifische Immunreaktion untersucht werden (mittels Tbc-spezifischem ELISPOT oder Interferon-Release-Test, z. B. Quantiferon®) (fakultativ) und bei positivem Testergebnis die Gefahr einer Tbc-Reaktivierung abgeklärt werden (Röntgen-Thorax und ggf. weitere Diagnostik) (fakultativ).
  • Impfungen: Zuletzt sollte der Impfstatus überprüft und alle empfohlenen Impfungen (gemäß STIKO) vor Therapiebeginn aufgefrischt werden (siehe „Spezialkapitel Impfungen“).

Dokumentierte Aufklärung der Patienten über Therapie und Risiken

Die standardisierte Aufklärung mit Einwilligungserklärung zur Therapie sollte in schriftlicher Form erfolgen und speziell auf folgende Risiken eingehen:

  • Myelosuppression und erhöhte Gefahr für Infektionen. Auch das seltene, aber mögliche Auftreten von Fällen einer PML muss erwähnt werden.
  • Hepatotoxizität/Pankreatitis
  • Mögliche Entwicklung von Non-Hodgkin-Lymphomen, Hauttumoren, insbesondere Melanome, oder anderen Tumorerkrankungen bei Langzeittherapie (bei Therapiedauer über 10 Jahre ist das Malignomrisiko 4,4-fach erhöht)

Während der Therapie

Aufgrund der möglichen Myelosuppression und der hepatotoxischen Wirkung von AZA sollten bei jedem Patienten regelmäßige Blutbildkontrollen durchgeführt werden. Diese sind in den ersten 8 Wochen wöchentlich, dann monatlich und nach 6 Monaten alle 3 Monate empfohlen und sollten ein Blutbild mit Differentialblutbild, Leberwerten und Nierenwerten beinhalten. Kommt es unter der Therapie zu einer Lymphopenie unter 600/µL, sollte eine Dosisreduktion erfolgen. Bei signifikant erhöhten Leberwerten unter der Therapie oder Anzeichen einer Pankreatitis muss Azathioprin abgesetzt werden.

Es besteht eine Medikamenteninteraktion zwischen Azathioprin und Allopurinol oder Febuxostat, da diese Arzneimittel die Xanthinoxidase und damit auch den Abbau von AZA hemmen. Diese Kombination soll, wenn möglich, für die Dauer der Therapie vermieden werden. Wenn nicht anders möglich, muss die Dosierung von AZA auf 25 % reduziert werden, um myelotoxische Krisen zu vermeiden.

Klinische Kontrollen mit Erhebung des neurologischen Status und besonderem Augenmerk auf Oberbauchbeschwerden, Übelkeit oder vermehrte Infekte sollten nach einem Monat und dann vierteljährlich durchgeführt werden.

Besondere Hinweise

Kinder und Jugendliche

Azathioprin ist zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen ≤ 18 Jahren nicht zugelassen und kann nur im so genannten Off-Label-Use verschrieben werden. Bei Kindern mit generalisierter autoimmun-vermittelter Myasthenia gravis kann es so in schweren Fällen zum Einsatz kommen.

Schwangerschaft und Stillzeit

Unter Therapie mit AZA sollte über eine effektive Kontrazeption für Frauen und Männer aufgeklärt werden. Bisherige Daten zeigen kein erhöht teratogenes Risiko durch eine Therapie mit AZA, sodass eine laufende Therapie bei unerwarteter Schwangerschaft keine Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch darstellt.

Eine Therapie mit AZA muss vor geplanter Schwangerschaft nicht grundsätzlich beendet werden. Vielmehr muss der Nutzen einer stabil eingestellten Grunderkrankung mit dem Risiko der Therapiefortführung abgewogen werden. Daher sollte bei unerwarteter Schwangerschaft, bei konkretem Kinderwunsch bzw. noch offener Familienplanung die Vorstellung in einem spezialisierten Zentrum erfolgen.

Da AZA und seine Metaboliten ebenfalls in die Muttermilch übergehen, ist es in der Stillzeit kontraindiziert. Eine Anwendung während der Stillperiode sollte im Einzelfall streng abgewogen werden. Für weitere Informationen siehe www.embryotox.de.

Impfungen

Wie bei allen immunsuppressiven Therapien sollte bis spätestens 4 Wochen vor Therapiebeginn eine Auffrischung aller Impfungen nach aktuell gültigem Impfkalender erfolgen.

Falls nicht anders möglich sind Impfungen mit Totimpfstoffen (z. B. Vektor- oder mRNA-Impfungen) unter Therapie möglich, allerdings ist gerade unter einer Kombination von AZA mit Glukokortikoiden mit einem verminderten Impferfolg zu rechnen. Hier sollten gegebenenfalls Titer-Kontrollen, sofern möglich, durchgeführt werden.

Während der Therapie mit AZA ist eine Impfung mit Lebendimpfstoffen (z. B. BCG, Pocken, Gelbfieber) kontraindiziert, sodass diese bis spätestens 4 Wochen vor Therapiebeginn abgeschlossen sein müssen und bis 3 Monate nach Therapieende nicht verabreicht werden dürfen.

Dauer der Therapie

Bei der Myasthenia gravis handelt es sich um eine chronische Autoimmunerkrankung. Da die Therapie mit AZA in der Regel erst nach 12 – 15 Monaten in ihrer Effektivität eingeschätzt werden kann, muss man von einer mindestens mehrjährigen bis gegebenenfalls lebenslangen Therapie ausgehen. Bei klinisch stabiler Remission über mehrere Jahre kann ein Auslassversuch unternommen werden. Das abrupte Absetzen von AZA kann auch in einer Remission myasthene Krisen oder eine krisenhafte Verschlechterung der Myasthenie auslösen, sodass die Therapie immer ausschleichend beendet werden sollte.

Patientenaufklärung

Die DMG stellt einen Patientenaufklärungsbogen zur Therapie mit Azathioprin für Sie bereit. Diesen können Sie hier herunterladen.

Autoren

Linus Olbricht, Assistenzarzt
Neurologie, Universitätsklinikum Gießen
Prof. Dr. Heidrun Krämer-Best
Neurologie, Universitätsklinikum Gießen

(Die Empfehlung basiert auf dem KKNMS e.V. Therapiehandbuch zu Azathioprin; Autoren: Prof. Dr. Orhan Aktas, Düsseldorf, Prof. Dr. Ingo Kleiter, Berg, Prof. Dr. Tania Kümpfel, München, Prof. Dr. Corinna Trebst, Hannover)

Autoren

Linus Olbricht, Assistenzarzt

Neurologie, Universitätsklinikum Gießen

Prof. Dr. Heidrun Krämer-Best

Neurologie, Universitätsklinikum Gießen