Indikation
- Tacrolimus ist ein Makrolid, welches aus dem Pliz Streptomyces tsukubaensis isoliert wurde.
- Tacrolimus (Advagraf®, Modigraf®, Prograf®, Envarsus®, sowie div. Generika) ist ein selektives Immunsuppressivum, das zur Prophylaxe der Transplantatabstoßung nach Organtransplantation zugelassen ist.1 Eine Zulassung von Tacrolimus zur Behandlung der Myasthenia gravis besteht in Deutschland nicht (off-label Verordnung).
- Tacrolimus ist ein Calcineurininhibitor, der seinen immunsuppressiven Effekt über eine Verminderung der Zytokinsynthese in T-Zellen ausübt.
- Bei der Myasthenia gravis ist Tacrolimus neben Mycofenolat Mofetil, Methotrexat und Ciclosporin ein Mittel der zweiten Wahl zur Behandlung der generalisierten Myasthenia gravis (auch juvenile Myasthenia gravis) mit milder/moderater Aktivität.
- Tacrolimus sollte bei Unwirksamkeit, fehlender Verträglichkeit oder Kontraindikationen der Erstlinientherapie der Myasthenia gravis mit milder/moderater Aktivität (Glucokortikoide und/oder Azathioprin) zum Einsatz kommen.
- Die Therapieleitlinie (2022) empfiehlt Tacrolimus auch als Mittel der zweiten Wahl bei okulärer Myasthenia gravis und der MUSK-Antikörper positiven Myasthenia gravis.2
- Mehrere offene Studien und kleinere Fallserien konnten eine Wirksamkeit von Tacrolimus bei MG zeigen. In zwei kontrollierten Studien konnte Tacrolimus nach 6 und 12 Monaten Behandlung keine signifikanten Steroid-einsparenden Effekte zeigen, wobei post-hoc Analysen eine Verbesserung des quantitativen Myasthenie Scores (QMG) nahelegen.2 – 7
- Der therapeutischer Effekt tritt in der Regel schnell ein, mit einer klinischen Besserung oftmals zwischen 10 – 28 d nach Therapieinitiierung.8
Kontraindikationen
Kontraindiziert ist Tacrolimus bei…
- einer Überempfindlichkeit gegen Tacrolimus oder Makrolide
- einer Niereninsuffizienz
- einer Schwangerschaft2
Dosierung
Tacrolimus wird zur Behandlung der MG als orale Dauertherapie eingesetzt. Zur Behandlung der Myasthenia gravis werden niedrigere Dosierungen eingesetzt als bei der Prophylaxe von Transplantatabstoßungen. In der Literatur werden zwei Dosisstrategien beschrieben: Eine feste Tagesdosis von 3 mg mit oder ohne Bewertung der Talspiegel (am gebräuchlichsten) 4 – 7 und ein gewichtsbasierter Ansatz von 0,1 mg/kg/Tag verteilt auf zwei Tagesdosen, wobei die Dosis titriert wird, um eine Talkonzentration von 7 – 8 ng/ml zu erreichen. 9, 10
Die Therapie kann mit Spiegelkontrollen (Talspiegel) überwacht werden. Die Bestimmung der Tacrolimus-Talspiegel sollte ca. 24 Stunden nach der Gabe unmittelbar vor der nächsten Dosis erfolgen. Bei der Gabe von 3 mg/d zeigte sich ein mittlerer Tacrolimus-Talspiegel von 5,4 (Bereich 2,9 – 7,6) ng/ml. Nach Analyse der Studiendaten wurde ein Cut-off Wert von 4,8 ng/ml definiert. Patienten, bei denen Talspiegel oberhalb diese Cut-off Wertes erzielt wurden, zeigten eine signifikante Verringerung der Anti-AChR-Antikörpertiter und erreichten häufiger „minimale Manifestation oder besseren Status“ im Vergleich zu Patienten mit niedriger Tacrolimus-Konzentration. 2, 3, 11
Pharmakokinetik
- Die Resorption von Tacrolimus nach oraler Aufnahme erfolgt schnell, jedoch unvollständig. Die Bioverfügbarkeit schwankt je nach Angaben zwischen 5 und 67 %. Nach 1 – 2 Stunden ist die maximale Konzentration im Blut erreicht.
- Die stark lipophilen Eigenschaften von Tacrolimus führen dazu, dass die Zusammensetzung der Mahlzeiten die Resorption stark beeinflussen kann. Insbesondere fetthaltige Mahlzeiten reduzieren die Aufnahme. Eine mahlzeitenunabhängige Einnahme von mindestens einer Stunde vor und zwei Stunden nach dem Essen wird daher empfohlen.
- Die Halbwertszeit von Tacrolimus liegt bei ca. 12 h, somit wird ein steady state nach etwa zwei bis drei Tagen erreicht.
- Tacrolimus wird in der Leber CYP3A4 abhängig durch Hydroxylierung und Demethylierung metabolisiert. Die Ausscheidung erfolgt überwiegend biliär, nur etwa 1 – 5 % werden renal eliminiert. Bei der Elimination bestehen ethnische Unterschiede. Personen mit African-American Abstammung benötigen aufgrund einer schnelleren Ausscheidung höhere Dosen als Kaukasische Patienten.
- Inhibitoren von CYP3A4 (wie Ritonavir, Cobicistat, Ketoconazol, Itraconazol, Posaconazol, Voriconazol, Telithromycin, Clarithromycin oder Josamycin) führen zu höherer Bioverfügbarkeit der Calcineurin Inhibitoren, während Induktoren (wie Rifampicin, Phenytoin, Carbamazepin) von CYP3A4 zu einer erniedrigten Bioverfügbarkeit führen. Eine Kombination sollte vermieden werden. Grapefruit oder Grapefruitsaft sollten vermieden werden.
- Tacrolimus überwindet die Plazentaschranke und tritt in die Muttermilch über. 1, 12 – 15
Pharmakodynamik
- Ähnlich wie Ciclosporin A entfaltet Tacrolimus seinen therapeutischen Effekt über das Verhindern einer Aktivierung von T-Zellen. Im Zytosol bindet Tacrolimus an Immunophilin. Dieser Komplex lagert sich an Calcineurin an und Calcineurin kann somit nicht mehr aktiviert werden.
- Die Inhibition von Calcineurin führt zu einer verminderten Transkription von Zytokinen, insbesondere von Interleukin-2, aber auch c-myc, IL-r, TNF-a und IFN-y.14
Toxizität || und Nebenwirkungen
Die wichtigsten unerwünschten Effekte von Tacrolimus sind Nephrotoxizität, Neurotoxizität, Hypertension und prodiabetogene Effekte, gastrointestinale Nebenwirkungen, Hypomagnesiämie und Hyperkaliämie, sowie Infektionen und Malignome. Die meisten dieser unterwünschten Nebenwirkungen sind dosisabhängig. Es werden aber auch idiosynkratische Effekte beschrieben (bspw. Dysarthrie) die nicht auf eine Reduktion der Konzentration reagieren. 13
- Nephrotoxizität: kann der limitierende Faktor in der Therapie sein, nephrotoxische Effekte können je nach Literatur bei bis zu der Hälfte aller mit Tacrolimus behandelten Patienten auftreten. 13
- Neurotoxizität: milde neurologische Nebenwirkungen beinhalten einen Tremor, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Photophobie und Albträume. Schwere neurologische Nebenwirkungen wie Krampfanfälle, Aphasie, Delir oder Koma treten eher bei intravenöser Anwendung auf, welche bei MG nicht zum Einsatz kommt. 13
- Posteriores reversibles Enzephalopathie-Syndrom: Bei Patienten unter Tacrolimus-Behandlung wurde über die Entwicklung eines posterioren reversiblen Enzephalopathie-Syndroms (PRES) berichtet. Wenn Patienten, die Tacrolimus einnehmen, Symptome für PRES wie Kopfschmerzen, veränderten Bewusstseinszustand, Krämpfe und Sehstörungen zeigen, sollte eine radiologische Untersuchung (z. B. MRI) durchgeführt werden.
- Hypertension und prodiabetogene Effekte: es gibt Assoziationen zu vermehrtem Auftreten eines Diabetes sowie zu hypertensiven Blutdruckwerten bei transplantierten Patienten, die mit Tacrolimus behandelt werden. Die Differenzierung zu Effekten durch Kortikosteroide ist jedoch schwierig. 13
- Gastrointestinale Störungen: 22 – 72 % der mit Tacrolimus behandelten Patienten entwickeln Diarrhoen, 17 – 46 % Übelkeit, und 31 – 35 % Obstipation. 13
- Infektionen und Malignome: Alle immunsuppressiven Therapien erhöhen das Infektionsrisiko, sowie das Malignomsrisiko, insbesondere das für Lymphome.
Diagnostik || vor Therapiebeginn
- Anamnese und klinische Untersuchung zu möglichen Kontraindikationen
- Labor-Basisprogramm:
- Blutbild plus Differentialblutbild, Leberwerte (GOT, GPT, GGT, Bilirubin) und Nierenwerte (Kreatinin)
- CRP, Urinstatus, Röntgen Thorax
- Ausschluss chronischer Infektionen (HBV, HCV, HIV, Lues und Tbc)
- Impfstatus
- Schwangerschaftstest
- Dokumentierte Aufklärung der Patienten über Therapie und Risiken16
Vortherapien || Abstand und Maßnahmen
- Steroiderhaltungsdosen können den Talspiegel von Tacrolimus verringern – der Tacrolimus Talspiegel muss überwacht und bei Bedarf die Tacrolimus-Dosis erhöht werden.
- Die gleichzeitige Anwendung von Tacrolimus und Ciclosporin sollte vermieden werden, da es zu synergistischen/additiven nephrotoxischen Effekten kommen kann.
- Da Tacrolimus die Clearance von Steroid-Kontrazeptiva herabsetzen und damit die Hormonexposition erhöhen kann, ist bei Entscheidungen über empfängnisverhütende Maßnahmen besonders vorsichtig vorzugehen.
Monitoring
- Regelmäßige klinisch neurologische Kontrollen inklusive MG-ADL und QMG
- (Tal-)Spiegelkontrolle zur Dosisfindung bei engem therapeutischem Bereich bei MG, Ziel > 4,8 ng/ml.
- Initial zweiwöchentlich, nach einem Vierteljahr monatliche Kontrollen von Differenzialblutbild, Kreatinin, Elektrolyten, Leberenzymen
- Regelmäßige Blutdruckkontrollen und Blutzuckerkontrollen 2, 14
Besondere Hinweise
Schwangerschaft und Stillzeit
- Tacrolimus überwindet die Plazentaschranke und es gibt Fälle von spontanen Fehlgeburten bei Einnahme während der Schwangerschaft. In der Schwangerschaft ist Tacrolimus daher zur Therapie der MG kontraindiziert.
- Tacrolimus tritt in die Muttermilch über. Bei Anwendung in der Stillzeit sind keine Nebenwirkungen beim Kind beschrieben, ebenso wenig gibt es Hinweise auf ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko bei Behandlung des Vaters während der Entstehung der Schwangerschaft. 13, 15
Impfungen
Während der Therapie mit Tacrolimus sind Impfungen mit Totimpfstoffen möglich. Impfungen mit Lebensimpfstoffen sind nicht empfohlen. Wenn möglich, sollten vor Therapiebeginn alle von der STIKO empfohlenen Impfungen erfolgen.2
Dauer der Therapie
Wenn eine mehrjährige stabile Remission erreicht wurde, kann ein vorsichtiger Auslassversuch der Immuntherapie diskutiert werden.2
Patientenaufklärung
Die DMG stellt einen Patientenaufklärungsbogen zur Therapie mit Tacrolimus für Sie bereit. Diesen können Sie hier herunterladen.
Fußnoten
- Kapturczak, M. H., Meier-Kriesche, H. U. & Kaplan, B. Pharmacology of calcineurin antagonists. Transplant. Proc. 36, S25–S32 (2004).
- Wiendl, H. & Meisel, A. Diagnostik und Therapie myasthener Syndrome Entwicklungsstufe: S2k Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. www.awmf.org (2023).
- Alhaidar, M. K., Abumurad, S., Soliven, B. & Rezania, K. Current Treatment of Myasthenia Gravis. J. Clin. Med. 11, (2022).
- Nagaishi, A., Yukitake, M. & Kuroda, Y. Long-term treatment of steroid-dependent myasthenia gravis patients with low-dose tacrolimus. Intern. Med. 47, 731–736 (2008).
- Nagane, Y., Utsugisawa, K., Obara, D., Kondoh, R. & Terayama, Y. Efficacy of low-dose FK506 in the treatment of myasthenia gravis – A randomized pilot study. Eur. Neurol. 53, 146–150 (2005).
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- Yoshikawa, H., Kiuchi, T., Saida, T. & Takamori, M. Randomised, double-blind, placebo-controlled study of tacrolimus in myasthenia gravis. J. Neurol. Neurosurg. Psychiatry 82, 970–977 (2011).
- Wang, L. et al. Efficacy and safety of tacrolimus for myasthenia gravis: a systematic review and meta-analysis. J. Neurol. 264, 2191–2200 (2017).
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- Cruz JL, Wolff ML, Vanderman AJ, Brown JN. The emerging role of tacrolimus in myasthenia gravis. Ther Adv Neurol Disord. 2015 Mar;8(2):92-103.
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- https://www.embryotox.de/arzneimittel/details/ansicht/medikament/tacrolimus/ aufgerufen 04/2023
- Gold, R. & Toyka, K. V. Immuntherapie neurologischer Erkrankungen. (UNI-MED, 2007).
Autoren
Dr. med. Caroline Eilers-Petri
Klinik für Neurologie, Klinikum Würzburg Mitte
Prof. Dr. med. Mathias Mäurer
Klinik für Neurologie, Klinikum Würzburg Mitte
Autoren
Dr. med. Caroline Eilers-Petri
Klinik für Neurologie, Klinikum Würzburg Mitte
Prof. Dr. med. Mathias Mäurer
Klinik für Neurologie, Klinikum Würzburg Mitte