Indikation
Methotrexat (MTX) ist ein Folsäure-Antagonist und bewirkt als Antimetabolit der Nukleinsäuresynthese eine Hemmung der Dehydrofolat-Reduktase. Hierdurch wird die Entstehung von Tetrahydrofolsäure gehemmt, ein Substrat, das zur Bildung von Purinen und Thymidinen und somit zur Synthese von DNA und RNA benötigt wird. MTX verlangsamt somit die Proliferation von sich schnell teilenden Zellen, insbesondere des Knochenmarks und der Immunzellen. MTX wurde ursprünglich als Chemotherapeutikum zur Behandlung von Leukämien entwickelt, wird aber niedrig dosiert, als sogenannte Low-Dose-Therapie, auch erfolgreich bei der Behandlung vieler Autoimmunerkrankungen eingesetzt. MTX ist für die Behandlung der Myasthenia gravis jedoch nicht zugelassen und wird off-label eingesetzt. In Kombination mit Glucocortikoiden wird MTX bei der okulären sowie der milden oder moderaten generalisierten Myasthenia gravis eingesetzt, um langfristig die Dosis der eingesetzten Glucocortikoide zu reduzieren. Zur Wirksamkeit des MTX bei der Myasthenie liegen 2 randomisierte kontrollierte Studien mit insgesamt 81 Patienten vor. Bei der Testung gegen Azathioprin konnte unter der Therapie mit MTX ein ähnlich steroid-sparender Effekt wie bei der Therapie mit Azathioprin nachgewiesen werden (Heckmann et al. 2011). Bei einer anderen Untersuchung allerdings konnte kein relevanter Steroid-sparender Effekt von MTX gegen Placebo nach 12 Monaten nachgewiesen werden (Pasnoor et al. 2016). Letztlich kann die Frage nach der Stärke des Steroid-sparenden Effekts von MTX bei der MG bisher nicht abschließend geklärt werden. Auf Grund der einmaligen Gabe pro Woche, der guten Verträglichkeit und der geringen Therapiekosten stellt es jedoch ein gängiges Mittel der zweiten Wahl bei der Behandlung der generalisierten Myasthenie dar (Wiendl H., Meisel A., Marx A. et al. 2024).
Kontraindikationen
Eine absolute Kontraindikation besteht bei…
- einer Allergie gegen Methotrexat oder einen der Bestandteile des Präparats, einer schweren bestehenden Infektion, einer aktiven Stomatitis sowie Ulzera des Magen-Darm-Traktes, einer schweren Niereninsuffizienz (GFR < 30 ml/min), einer aktiven Lebererkrankung, fortbestehendem Alkoholabusus, einer Knochenmarkdepression, z. B. nach vorhergehender Radio-Chemotherapie, oder einem schweren Diabetes mellitus bei Adipositas.
Eine relative Kontraindikation besteht bei…
- einer eingeschränkten Nierenfunktion.
Nebenwirkungen
Unter einer Therapie mit Methotrexat kann es zu schweren und potenziell tödlichen Nebenwirkungen kommen. Der Schweregrad der Nebenwirkungen ist hierbei abhängig von der Dosis und der Frequenz der Einnahme, allerdings können auch unter niedrigen Dosierungen im Bereich der Low-Dose-Therapie schwere Nebenwirkungen auftreten. Die meisten unerwünschten Arzneimittelwirkungen zeigen sich nach Absetzen der Medikation reversibel, wenn sie frühzeitig erkannt werden. Aus diesen Gründen ist eine regelmäßige ärztliche Überwachung unerlässlich. Da manche Nebenwirkungen nur über Laboruntersuchungen nachweisbar sind, müssen neben einer klinischen auch regelmäßige laborchemische Kontrolluntersuchungen erfolgen. Zu den häufigsten Nebenwirkungen von MTX gehören Stomatitis, Haarausfall, Übelkeit, Erbrechen und Transaminasenanstieg. Selten kommt es zu Exanthemen, Vaskulitis, Photosensibilität, Ulcus des GI-Trakts, Leberfibrose/-zirrhose, Leukopenie, Thrombozytopenie, makrozytärer Anämie, Pneumonitis, Nierenfunktionsstörung, Fieber, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Depression oder Rheumaknoten. Es sind nur die häufigsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen beschrieben. Eine vollständige Liste kann dem entsprechenden Beipackzettel entnommen werden.
Dosierung
MTX kann mit einer Dosis von 7,5–15 mg oral einmal pro Woche begonnen werden. Gerade bei älteren Patienten empfiehlt sich eine langsame Dosissteigerung; MTX verfügt über eine unzureichende Bioverfügbarkeit, sodass parenterale Formulierungen bevorzugt werden sollten. Zur besseren Verträglichkeit sollte eine Therapie mit MTX mit einer Begleitmedikation mit 5–10 mg Folsäure einmal pro Woche 24 bis 48 Stunden nach MTX-Einnahme ergänzt werden.
Pharmakokinetik
- MTX wird oral über den Magen-Darm-Trakt resorbiert und hat eine Bioverfügbarkeit von ca. 70 %, wobei es erhebliche inter- und intraindividuelle Schwankungen gibt (25 – 100 %).
- Die Einnahme kann unabhängig von Mahlzeiten eingenommen werden.
- Die maximalen Plasmakonzentrationen werden ein bis zwei Stunden nach Einnahme erreicht und die Plasmahalbwertszeit beträgt drei bis zehn Stunden.
- Die Elimination erfolgt überwiegend renal und nach 24 h sind ca. 80 % der Dosis wieder ausgeschieden.
Pharmakodynamik
- MTX gehört unter den antineoplastischen Mitteln zu den Folsäureanaloga und hemmt intrazellulär die DNA/RNA-Synthese. Entsprechend reagieren aktiv proliferierende Gewebe wie maligne Zellen, das Knochenmark und hier die Bildung von Immun- und Mukosazellen sowie fetale Zellen empfindlicher auf die Wirkung von MTX.
Diagnostik || vor Therapiebeginn
Anamnese und klinische Untersuchung zu möglichen Kontraindikationen
Im Rahmen der ausführlichen Anamnese sollte ein besonderes Augenmerk auf mögliche Kontraindikationen gelegt werden. Zudem sollte auf Hinweise auf das Vorliegen einer Tuberkulose oder bereits bestehende Schleimhautveränderungen geachtet werden.
Labor-Basisprogramm
- Die Blutentnahme vor Therapiebeginn muss obligat ein Blutbild mit Differentialblutbild, die Leberwerte (GOT, GPT, GGT, Bilirubin, AP), Serumalbumin, die Nierenwerte (Kreatinin), CRP sowie einen Urinstatus umfassen.
- Bei Patientinnen im gebärfähigen Alter muss zudem eine Schwangerschaft vor Therapiebeginn mittels Schwangerschaftstest ausgeschlossen werden (obligat).
- Da unter Immunsuppression eine erhöhte Infektneigung besteht, sollte auf eine chronische Infektion mit HAV, HBV, HCV und HIV getestet werden (fakultativ). Bei anamnestisch begründetem Verdacht sollte auch eine Testung auf eine latente Tuberkulose erfolgen (obligat).
- Zuletzt sollte der Impfstatus überprüft und alle empfohlenen Impfungen (gemäß STIKO) vor Therapiebeginn aufgefrischt werden (siehe „Besondere Hinweise“).
Dokumentierte Aufklärung der Patienten über Therapie und Risiken
Die standardisierte Aufklärung mit Einwilligungserklärung zur Therapie sollte in schriftlicher Form erfolgen und speziell auf folgende Risiken eingehen:
- Myelosuppression und erhöhte Gefahr für Infektionen. Auch das seltene, aber mögliche Auftreten von Fällen einer PML muss erwähnt werden.
- Hepatotoxizität
- Das Risiko pulmonaler Komplikationen auch unter niedrigen Dosierungen
- Das mögliche Auftreten von Stomatitis und gastrointestinalen Ulzera
- Gelegentlich auftretende erhöhte Photosensitivität, konsequenter UV-Schutz unter Therapie
Während der Therapie
Aufgrund der möglichen Myelosuppression und der hepatotoxischen Wirkung von MTX sollen bei jedem Patienten regelmäßige Blutbildkontrollen durchgeführt werden. Diese sollten im ersten Monat wöchentlich, im 2. Monat alle 2 Wochen und anschließend in Abhängigkeit des Wohlbefindens des Patienten und der Leukozytenzahl, in der Regel alle 3 Monate, durchgeführt werden. Sie sollten ein Differentialblutbild, Leberwerte, Serumalbumin und Nierenwerte beinhalten. Eine vorübergehende Elevation der Leberwerte bis auf das 2–3-fache der Norm wird bei bis zu 20 % der Patienten beobachtet. Bei anhaltenden Leberwertveränderungen oder fallendem Serumalbumin ist von einer schweren Hepatotoxizität auszugehen, und die MTX-Therapie sollte beendet werden.
Klinische Kontrollen mit Erhebung des neurologischen Status sollten insbesondere Augenmerk auf Exantheme, Stomatitis, Oberbauchbeschwerden, Übelkeit oder vermehrte Infekte, Blutungen (Myelosuppression) und Luftnot/Husten (Pneumonitis) legen und sollten nach einem Monat und dann vierteljährlich durchgeführt werden.
Bei Auftreten von Exanthemen, einer Stomatitis, einer histologisch gesicherten fortschreitenden Leberfibrose, einer Leukopenie (≤ 1.000/µl), einer Granulopenie (<2.000/µl), einer Thrombopenie (<100.000/µl), einer aplastischen Anämie, einem Kreatininanstieg, einer Pneumonitis oder einem schweren Infekt sollte die Therapie mit MTX unterbrochen werden (Hintenberger 2024).
Besondere Hinweise
Kinder und Jugendliche
Azathioprin ist zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen ≤ 18 Jahren nicht zugelassen und kann nur im so genannten Off-Label-Use verschrieben werden.
Schwangerschaft und Stillzeit
MTX ist ein starkes menschliches Teratogen, das im Falle einer Exposition während der Schwangerschaft das Risiko für spontane Aborte, intrauterine Wachstumsstörungen und kongenitale Fehlbildungen erhöht. In tierexperimentellen Studien zeigte sich MTX auch bei Spermien genotoxisch. Unter Therapie mit MTX muss daher über eine effektive Kontrazeption für Frauen und Männer aufgeklärt werden. Sowohl für Frauen als auch für Männer gilt, dass vor einer geplanten Schwangerschaft eine Therapie mit Methotrexat beendet und mindestens eine Latenz von 1–3 Monaten eingehalten werden sollte. Ferner sollte bei Frauen vor Therapiebeginn eine Schwangerschaft ausgeschlossen werden. Da MTX in geringem Maß in die Muttermilch übergeht, ist es in der Stillzeit kontraindiziert. Weiterführende Informationen können unter www.embryotox.de abgerufen werden.
Impfungen
Wie bei allen immunsuppressiven Therapien sollte bis spätestens 4 Wochen vor deren Beginn eine Auffrischung aller Impfungen nach aktuell gültigem Impfkalender erfolgen.
Falls nicht anders möglich, sind Impfungen mit Totimpfstoffen (z. B. Vektor- oder mRNA-Impfungen) unter Therapie möglich. Allerdings ist gerade unter einer Kombination von MTX mit Glukokortikoiden mit einem verminderten Impferfolg zu rechnen. Hier sollten gegebenenfalls Titerkontrollen, sofern möglich, durchgeführt werden.
Während der Therapie mit MTX ist eine Impfung mit Lebendimpfstoffen (z. B. BCG, Pocken, Gelbfieber) kontraindiziert. Deshalb müssen diese bis spätestens 4 Wochen vor Therapiebeginn abgeschlossen sein und dürfen bis 3 Monate nach Therapieende nicht verabreicht werden (Wagner et al. 2019).
Dauer der Therapie
Bei der Myasthenia gravis handelt es sich um eine chronische Autoimmunerkrankung. Da die Therapie mit MTX in der Regel erst nach 9–12 Monaten in ihrer Effektivität eingeschätzt werden kann, muss man von einer mindestens mehrjährigen bis gegebenenfalls lebenslangen Therapie ausgehen. Bei klinisch stabiler Remission über mehrere Jahre kann ein Auslassversuch unternommen werden. Daten zum Auftreten krisenhafter Verschlechterungen bestehen nur bei Langzeitbehandlung mit Azathioprin. Hier kann es durch abruptes Absetzen auch nach stabiler Remission wieder zu krisenhaften Verschlechterungen kommen (Witte et al. 1984; Hohlfeld et al. 1985). Vor diesem Hintergrund sollte eine langjährige Immunsuppression immer ausschleichend und in Rücksprache mit dem Behandler beendet werden.
Patientenaufklärung
Die DMG stellt einen Patientenaufklärungsbogen zur Therapie mit Methotrexat (MTX) für Sie bereit. Diesen können Sie hier herunterladen.
Literaturverzeichnis
Literaturverzeichnis
Heckmann, Jeannine M.; Rawoot, Amanullah; Bateman, Kathleen; Renison, Rudi; Badri, Motasim (2011): A single-blinded trial of methotrexate versus azathioprine as steroid-sparing agents in generalized myasthenia gravis. In: BMC neurology 11, S. 97. DOI: 10.1186/1471-2377-11-97.
Hintenberger, Rainer (2024): Indikationen zur Unterbrechung von rheumatologischen Basistherapien. In: rheuma plus 23 (4), S. 220–227. DOI: 10.1007/s12688-024-00715-1.
Hohlfeld, R.; Toyka, K. V.; Besinger, U. A.; Gerhold, B.; Heininger, K. (1985): Myasthenia gravis: reactivation of clinical disease and of autoimmune factors after discontinuation of long-term azathioprine. In: Annals of neurology 17 (3), S. 238–242. DOI: 10.1002/ana.410170304.
Pasnoor, Mamatha; He, Jianghua; Herbelin, Laura; Burns, Ted M.; Nations, Sharon; Bril, Vera et al. (2016): A randomized controlled trial of methotrexate for patients with generalized myasthenia gravis. In: Neurology 87 (1), S. 57–64. DOI: 10.1212/WNL.0000000000002795.
Wagner, Norbert; Assmus, Frauke; Arendt, Gabriele; Baum, Erika; Baumann, Ulrich; Bogdan, Christian et al. (2019): Impfen bei Immundefizienz: Anwendungshinweise zu den von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Impfungen. (IV) Impfen bei Autoimmunkrankheiten, bei anderen chronisch-entzündlichen Erkrankungen und unter immunmodulatorischer Therapie. In: Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz 62 (4), S. 494–515. DOI: 10.1007/s00103-019-02905-1.
Wiendl H., Meisel A., Marx A. et al. (2024): Diagnostik und Therapie myasthener Syndrome. S2k-Leitlinie. Hg. v. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. www.dgn.org/leitlinien, online verfügbar unter https://www.dgn.org/leitlinie/diagnostik-und-therapie-myasthener-syndrome, zuletzt geprüft am 08.08.2025.
Witte, A. S.; Cornblath, D. R.; Parry, G. J.; Lisak, R. P.; Schatz, N. J. (1984): Azathioprine in the treatment of myasthenia gravis. In: Annals of neurology 15 (6), S. 602–605. DOI: 10.1002/ana.410150615.
Arzneimittelinformation Methotrexat
Methotrexat – Embryotox: https://www.embryotox.de/arzneimittel/details/ansicht/medikament/methotrexat, abgerufen am 08.08.2025 um 15:46 Uhr
Autoren
Dr. med. Julia Kaiser
LVR – Klinik Bonn
Prof. Dr. Heidrun Krämer-Best
Neurologie, Universitätsklinikum Gießen