Myasthenie

Mycophenolat Mofetil

Indikation

Mycophenolat Mofetil (MMF) ist in Deutschland zur Prophylaxe einer Abstoßungsreaktion nach Organtransplantation zugelassen. Für die Behandlung der Myasthenia gravis (MG) liegt keine Zulassung vor. Nach einem Bescheid des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ist MMF bei Patienten erstattungsfähig, „bei denen sich Azathioprin (AZA) als unverträglich erwiesen hat (Unverträglichkeit) oder bei denen sich AZA bei einer ausreichend dosierten Therapie als nicht ausreichend wirksam erwiesen hat oder eine Absenkung der begleitenden Kortikoid-Dosis unter die Cushing-Schwelle nicht erreichbar war (Therapieresistenz)“ bfarm.de. Eine Subgruppenanalyse zweier Studien fand einen günstigen Effekt von MMF sowohl in der Monotherapie als auch in Kombination mit Prednison erst nach mindestens sechsmonatiger Behandlung (Evidenzgrad IV).

Kontraindikationen

Eine absolute Kontraindikation besteht bei…

  • … Hypersensitivität gegenüber dem Wirkstoff oder einem der sonstigen Bestandteile des Arzneimittels.
  • … Schwangerschaft oder während der Stillzeit.

Eine relative Kontraindikation besteht bei…

  • … aktiven schwerwiegenden Infektionen oder aktiver Tuberkulose (Tbc). Bei chronischen Infektionskrankheiten wie HIV, Hepatitis B oder C sollte MMF nicht angewandt werden, da ein negativer Effekt auf die Immunkompetenz im Rahmen dieser Erkrankungen nicht auszuschließen ist.
  • … Vorliegen einer Tumorerkrankung. Die Therapie mit MMF sollte nur nach Rücksprache mit einem Onkologen erfolgen.

Dosierung

Abhängig von möglichen Vorerkrankungen und dem Alter des Patienten sowie unter Berücksichtigung der Risiken und Nebenwirkungen sollte eine immunsuppressive Therapie mit MMF 2 g/Tag per os erfolgen. Die Therapie wird mit 2 x 500 mg/Tag begonnen und dann auf insgesamt 2 x 1 g/Tag per os unter regelmäßigen Laborkontrollen innerhalb weniger Wochen aufdosiert. MMF sollte vor oder mit dem Essen und mit zwei Stunden Abstand zu Eisenpräparaten und Antazida / Protonenpumpenhemmern eingenommen werden.

Mit einem vollen Wirkungseintritt ist frühestens nach 8 – 12 Wochen zu rechnen. Daher sollte auch die MMF-Therapie in den ersten Monaten bis Wirkungseintritt in Kombination mit einer oralen Steroidtherapie erfolgen. Die bekannten Steroidnebenwirkungen müssen berücksichtigt und die Komedikation beachtet werden (z.B. Osteoporoseprophylaxe). Grundsätzlich ist eine Monotherapie mit MMF anzustreben, und die orale Steroidtherapie sollte im weiteren Verlauf ausgeschlichen und abgesetzt werden. Unter Berücksichtigung der Krankheitsaktivität und von Komorbiditäten kann MMF in Einzelfällen gemeinsam mit anderen Immunsuppressiva kombiniert werden.

Pharmakokinetik & -dynamik

  • MMF wird im Körper in Mycophenolsäure (MPA) umgewandelt. MPA ist ein selektiver, nicht-kompetitiver und reversibler Hemmer der Inosinmonophosphat- Dehydrogenase, der die Guanosin-Nucleotidsynthese und somit die Proliferation von T- und B-Lymphozyten hemmt. MPA wirkt dabei stärker auf Lymphozyten als auf andere Zellen.
  • Nach oraler Einnahme wird MMF schnell und gut resorbiert und in einer vollständigen präsystemischen Metabolisierung in MPA, den aktiven Metaboliten umgewandelt. Hohe Plasmakonzentrationen werden bereits eine Stunde nach Einnahme erreicht. Aufgrund des enterohepatischen Kreislaufs beobachtet man im Allgemeinen 6 – 12 Stunden nach der Einnahme einen zweiten sekundären Anstieg der Plasmakonzentration von MPA. MMF zeigt eine Plasma-Halbwertszeit von ca. 17,5 Stunden.
  • Über 90 % der Dosis wird innerhalb der ersten 24 Stunden nach Einnahme renal eliminiert, ggf. muss bei starker Nierenfunktionseinschränkung die Dosis adaptiert werden.
  • Bei Patienten mit Leberfunktionsstörungen kann der Metabolismus ebenfalls verändert sein.
  • MMF kann die Plazentaschranke passieren.
  • Auf mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, insbesondere mit Medikamenten, die den enterohepatischen Kreislauf beeinflussen können (z.B. ACE-Hemmer oder verschiedene Antibiotika, siehe Fachinformation), ist zu achten. Bei gleichzeitiger Gabe von Aciclovir kann es zu höheren Plasmakonzentrationen von Aciclovir kommen, ebenso kann es zu einem Konzentrationsanstieg von MPA kommen. Bei gleichzeitiger Gabe von Antazida und Protonenpumpenhemmern kann der MPS-Spiegel vermindert sein (siehe oben).
  • MMF darf nicht mit Azathioprin und Ciclosporin A kombiniert werden.

Diagnostik || vor Therapiebeginn 

Anamnese und klinische Untersuchung zu möglichen Kontraindikationen

Durch eine sorgfältige Anamnese und klinische Untersuchung muss vor Therapiebeginn das Vorliegen möglicher Kontraindikationen, wie z.B. einer schweren Infektion oder von vorbestehenden Tumorerkrankungen, auch Hautkrebs, sowie eine Schwangerschaft ausgeschlossen werden (obligat). Die Nutzen-Risiko-Abwägung sollte jeweils dokumentiert werden.

Labor-Basisprogramm

  • Routinelaborparameter: Vor Beginn der Therapie müssen Blutbild und Differenzialblutbild, Leberwerte (GOT, GPT, GGT) und Nierenwerte (Kreatinin) bestimmt werden (obligat).
  • Entzündungs- und Infektionsparameter: Bei allen Patienten müssen eine akute Entzündung (CRP, Urinstatus) sowie chronische aktive bakterielle und virale Infektionen (HBV, HCV, HIV) ausgeschlossen werden (obligat). Für den HIV-Test ist eine schriftliche Einverständniserklärung der Patienten erforderlich. Bei Verdacht auf Tbc in der Vorgeschichte oder bei Personen, die in Gebieten mit höherer Tbc-Prävalenz leben, sollte die Tbc-spezifische Immunreaktion untersucht werden (mittels Tbc-spezifischem ELISPOT oder Interferon-Gamma-Release-Test, z.B. Quantiferon®) (fakultativ). Bei positivem Testergebnis muss die Gefahr einer Tbc-Reaktivierung abgeklärt werden (Röntgen-Thorax und ggf. weitere Diagnostik) (obligat). Zudem muss überprüft werden, ob Immunität gegen das Varizella-Zoster-Virus (VZV) vorhanden ist (Nachweis von VZV-IgG im Serum, anamnestisch durchgemachte Windpocken-Erkrankung) (obligat). Bei fehlender Immunität sollte vor Beginn der Therapie eine Impfung durchgeführt werden (siehe unten Impfungen).
  • Schwangerschaftstest: Bei Patientinnen im gebärfähigen Alter muss eine Schwangerschaft mittels Schwangerschaftstest ausgeschlossen werden (obligat).

Dokumentierte Aufklärung der Patienten über Therapie und Risiken

Eine standardisierte Aufklärung über den Einsatz einer off-label Therapie sowie die Risiken und Nutzen der MMF-Therapie und eine schriftliche Einwilligungserklärung des Patienten sind vor Behandlungsbeginn obligat. Die standardisierte Aufklärung mit Einwilligungserklärung zur Therapie sollte speziell auf folgende Risiken eingehen:

  • Blutbildveränderungen und erhöhte Gefahr für Infektionen: Grundsätzlich besteht ein erhöhtes Risiko für Infektionen, einschließlich opportunistischer Infektionen, unter Therapie mit MMF. Auch das seltene, aber mögliche Auftreten einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) muss erwähnt werden.
  • Bei Langzeittherapie muss auf die mögliche Entwicklung von Hauttumoren oder anderen Tumorerkrankungen hingewiesen werden. Wie stark unter langfristiger Therapie mit MMF das Risiko für eine Tumorerkrankung steigt, ist unklar, aber es muss mit einem erhöhten Risiko für Hauttumore und Lymphome gerechnet werden.
  • Teratogenität.

Vortherapien || Abstand und Maßnahmen

Grundsätzlich sollte eine längere Therapiepause bei MG aufgrund des Risikos schwerer Erkrankungsschübe vermieden werden. Wenn von Azathioprin oder einer anderen immunsuppressiven Dauertherapie (z.B. Tacrolimus, Methotrexat, Ciclosporin A, Cyclophosphamid) auf MMF umgestellt wird, sollten nach Nutzen-Risiko-Abwägung möglichst die Nebenwirkungen der Vortherapie (z.B. Lympho- / Leukopenien, Leberwerterhöhungen) abgeklungen sein (fakultativ). Dies gilt auch für eine Vorbehandlung mit Rituximab, Ravulizumab, Eculizumab oder Efgartigimod. Bei hoher Krankheitsaktivität oder bestimmten Komorbiditäten kann auch eine Kombinationstherapie oder eine überlappende Therapie notwendig sein, zudem ist bei Therapieumstellung eine überbrückende orale Steroidtherapie zu erwägen.

Monitoring

Klinisch-neurologische Kontrolle

Nach dem ersten Behandlungsmonat und dann vierteljährlich müssen klinisch-neurologische Kontrolluntersuchungen durchgeführt werden (obligat). Hierbei sollte gezielt nach Oberbauchbeschwerden und gastrointestinalen Beschwerden (Übelkeit und Durchfall) sowie vermehrten Infektionen gefragt und diese dokumentiert werden.

Labor-Basisprogramm

Ein Blutbild und Differenzialblutbild sowie Leberwertkontrollen (GOT, GPT, GGT) müssen zu Therapiebeginn regelmäßig, zunächst in den ersten drei Monaten alle zwei Wochen, und dann alle zwei Monate erfolgen, bei guter Verträglichkeit maximal in vierteljährlichem Abstand (obligat). Bei Vortherapie mit einem Immunsuppressivum und bestehenden Blutbildveränderungen sollten zu Beginn wöchentliche Blutbildkontrollen erfolgen. Bei deutlichen und anhaltenden Blutbildveränderungen (Anämie, Neutropenie, Lymphopenie, Thrombozytopenie) kann nach hämatologischer Rücksprache ggf. eine Dosisreduktion erfolgen oder es muss ein Abbruch der Therapie erwogen werden.

Impfungen

Vor Beginn einer Therapie mit MMF soll der Impfstatus überprüft werden und ausstehende und empfohlenen Impfungen (gemäß der STIKO) sollten zeitnah unter Berücksichtigung der Krankheitsaktivität erfolgen.

Radiologische Diagnostik

Falls sich in der klinisch-neurologischen Untersuchung bzw. Anamnese Hinweise für eine PML oder andere infektiöse oder nicht-infektiöse ZNS-Erkrankungen ergeben, sollte eine MRT des Gehirns bzw. des Rückenmarks erfolgen.

Während der Therapie

Aufgrund der Wirklatenz von MMF kann es zu Beginn noch zu einer (krisenhaften) Verschlechterung der MG kommen. Daher sollte die MMF-Therapie in den ersten Monaten bis Wirkungseintritt in Kombination mit einer oralen Steroidtherapie erfolgen. Myasthene Krisen, die unter MMF-Therapie auftreten, können nach Standardvorgaben mit intravenösen Immunglobulinen (IVIg) oder Plasmapherese oder Immunadsorption (IA) behandelt werden. Bei zentral-neurologischen Symptomen gelten die gleichen Empfehlungen wie bei Rituximab bezüglich des Ausschlusses einer PML.

Besondere Hinweise

Kinder und Jugendliche

Die Erfahrung in der Anwendung von MMF bei Kindern und Jugendlichen beschränkt sich auf wenige Einzelfallberichte; eine allgemein gültige Nutzen-Risiko-Abwägung ist deshalb nicht möglich. Bei Kontraindikation oder Nebenwirkungen unter Azathioprin ist die Verwendung von MMF sinnvoll (starker Konsens). Bei Kindern ist ein Beginn mit 600 mg/m2 KOF, verteilt auf zwei Tagesdosen, empfohlen, die weitere Steigerung soll dem Talspiegel angepasst werden und die maximale Dosis von 2 x 1 g nicht überschritten werden. Bei den Empfehlungen zur Überwachung der Therapie gelten dieselben Maßnahmen wie bei Erwachsenen, möglicherweise besteht ein höheres Risiko für Nebenwirkungen.

Schwangerschaft und Stillzeit

  • MMF wirkt stark teratogen und darf nicht in der Schwangerschaft angewendet werden, weshalb eine effektive Kontrazeption für Frauen und Männer empfohlen wird (obligat). Patientinnen sollten bis sechs Wochen nach Beendigung der Behandlung mindestens eine zuverlässige Form der Kontrazeption anwenden.
  • Bei männlichen Patienten wird empfohlen, dass der Patient und / oder dessen Partnerin während der Behandlung und für mindestens 90 Tage nach Beendigung der Behandlung mindestens eine zuverlässige Verhütungsmethode anwendet.
  • MMF geht vermutlich in die Muttermilch über und eine Therapie mit MMF ist während der Stillzeit streng kontraindiziert.

MMF darf nicht in der Schwangerschaft angewendet werden. Dies sollte vor Beginn einer Therapie bei der Familienplanung berücksichtigt werden. Bei konkretem Kinderwunsch bzw. noch offener Familienplanung sollte die Vorstellung in einem spezialisierten Zentrum erfolgen.

Impfungen

Umfassende Untersuchungen zu Impfungen und MMF liegen nicht vor. Grundsätzlich können Impfungen mit sogenannten Totimpfstoffen, mRNA Impfstoffen und Vektorimpfstoffen während der Therapie mit MMF erfolgen. Die Wirksamkeit von Impfungen kann während der Therapie mit MMF eingeschränkt sein. Ggf. ist der Impferfolg mittels Titerkontrolle zu überprüfen (fakultativ). Die Anwendung von attenuierten Lebendimpfstoffen sollte unter der Therapie mit MMF und mindestens bis zu zwei Monate nach Beendigung der Therapie vermieden werden (obligat).

Dauer der Therapie

MG ist eine chronisch verlaufende Erkrankung, weshalb eine langfristige Immuntherapie grundsätzlich empfohlen wird. Belastbare Erfahrungen zur Entwicklung der Erkrankung nach Absetzen einer MMF-Therapie liegen für keinen Zeitpunkt vor; daher ist bei Beendigung der Therapie ohne Initiierung einer alternativen Therapie mit dem Risiko einer Krankheitsverschlechterung zu rechnen.

Patientenaufklärung

Die DMG stellt einen Patientenaufklärungsbogen zur Therapie mit Mycophenolat Mofetil (MMF) für Sie bereit. Diesen können Sie hier herunterladen.

Autoren

Dr. med. Andreas Totzeck
Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Essen
Univ.-Prof. Dr. med. Tim Hagenacker
Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Essen

(Die Empfehlung basiert auf der DGN S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie myasthener Syndrome (AWMF 030/087) und auf dem KKNMS e.V. Therapiehandbuch zu Mycophenolat Mofetil zur Behandlung der Neuromyelitis Optica Spektrum Erkrankungen; Autoren: Prof. Dr. Orhan Aktas, Düsseldorf, Prof. Dr. Ingo Kleiter, Berg, Prof. Dr. Tania Kümpfel, München, Prof. Dr. Corinna Trebst, Hannover)

Autoren

Dr. med. Andreas Totzeck

Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Essen

Univ.-Prof. Dr. med. Tim Hagenacker

Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Essen